Von Handicaps und roten Laternen
 

Der letzte Saisonlauf in Hockenheim.

Man könnte kurz berichten, dann sähe es so aus:

Freitag morgen war ich in Hockenheim zum freien Training, im Quali am Samstag wurde ich 42. und  Vorletzter. Das Rennen am Sonntag beendete ich als 35. und Letzter.

Tatsächlich sind dies die Ergebnisse des Rennens. Wie es aber dazu kam, berichte ich lieber etwas ausführlicher, denn dazu muß ich etwas weiter ausholen:

Nach dem Rennen vor 2 Wochen in Oschersleben hatte ich arbeitstechnisch eine harte Woche und mußte auch Samstag und Sonntag je 12 Stunden durcharbeiten. Dabei blieben ein paar Restarbeiten liegen, die ich dann Mittwoch Mittag erledigen wollte. Mittwoch morgen war dann Stress und Hektik bei einer Kundin, da die angelieferten Waren eines Herstellers defekt waren und ich deshalb in ziemlichen Zeitverzug kam. Mittags kam ich dann viel zu spät zu dem dem Kunden vom Wochenende. Dort mußte ich Teppichstreifen für Sockelleisten mit einer Schiene zuschneiden. Dann kam es, wie es kommen mußte: Ich rutschte mit dem Teppichmesser mit frischer Hakenklinge an der Schiene ab und der Länge nach durch meinen linken Zeigefingernagel, knapp am Daumen vorbei. Die Einzelheiten erspare ich Euch mal lieber. Jedenfalls wurde mir im Krankenhaus der abgeschnittene Teil des Nagels entfernt, das Nagelbett mit 4 Stichen und die Haut vor und hinter dem Nagelbett mit 3 Stichen genäht, darüber dann ein dicker Verband. So weit so aua. Aber wie das so ist bei Selbständigen: Die Arbeit muß weiter gehen und so habe ich am nächsten Tag noch was gepolstert, gereinigte Lamellen montiert, bei YAMAHA Deutschland in Neuss noch eine Kombi für Alexander Ludwig aus dem R6-Cup abgeholt und abends bei meinem Bruder Teppichboden verlegt (was eigentlich den Tag vorher schon passieren sollte aber nu nicht ging). Mittags hatte ich noch probiert, ob es irgendwie möglich ist Motorrad zu fahren. Kupplung ziehen ging mit den restlichen 3 Fingern, also sollte das schon irgendwie klappen. Nur, wie krieg ich den Verband in den Handschuh??? Na, wird sich schon was finden, dachte ich mir. Letztendlich war ich dann so um 22.00 Uhr zu Hause und konnte endlich den Transporter fürs Wochenende beladen. Um 0 Uhr war ich dann im Bett. Um 3 Uhr bimmelte der Wecker und Manuela, Lisa und ich machten uns pünktlich um 4 Uhr auf den Weg nach Hockenheim. Sollte eigentlich passen: 3,5 Std. Fahrt. Also 1 Std. vor dem ersten freien Training.

Aber wie das so ist, es kam alles anders:

Zunächst mußte ich erst mal 2 Pausen von je gut 1/4 Std. machen, weil mir die Augen zufielen. Als wir dann 6 km vor der Rennstrecke von der Autobahn runter fuhren platzte plötzlich auf der Schnellstraße der linke Reifen des Wohnwagens mit einer weißen Wolke und wegfliegenden Gummifetzen. Mit Mühe bekam ich das Gespann zum Stehen. Toll. Also mit kaputtem Finger, schreiendem Baby im Auto, viel zu spät und völlig entnervt auch noch Reifen wechseln mit einem nicht wirklich passenden Wagenheber des Sprinters. Und dazu eine Kombi im Wagen, die dringend zum Fahren benötigt wurde.

der geplatzte Wohnwagenreifen

Nach einer halben Stunde fuhren wir dann wieder. Um kurz vor halb 10 waren wir dann endlich im Fahrerlager. Erst mal Ludwig die Kombi gegeben und einen Platz gesucht. Das erste Training war eh schon vorbei und das 2. stand kurz bevor. Das habe ich mir dann direkt mal gespart, denn mein Magen schrie mich an, angemeldet war ich eh noch nicht und ausgeladen sowieso noch nicht. Hätte ich geahnt, dass dies das einzige freie Training im Trockenen war, hätte ich anders entschieden und so baute ich erst mal auf und ging dann so um 12.30 Uhr zur Anmeldung.

Dort stellte sich dann heraus, dass das Training offiziell ist und somit die Lizenz vorgelegt werden muß. Ich wieder zurück zum Wohnwagen und im Portemonnaie nach der Lizenz geguckt. Weg. Wie, weg? Die Lizenz war nicht dort wo sie sein sollte und immer ist. Und wieder: Hektik. Sie blieb (zunächst) verschwunden. Die netten Damen vom BMC Hockenheim haben dann mit Frau Eitel vom DMSB telefoniert und gefaxt. Irgenwann kam dann die Bestätigung, dass ich Lizenzinhaber bin und die Lizenz auch nicht einbehalten wurde. Puh. Noch 5 Minuten bis zum Training. Sprit rein. Motor an, Kombi an, Regen. Regen??? Reifen wechseln, für Bremsbeläge keine Zeit mehr. Helm auf. Handschuh rechts normal und links vorsichtig einen Arbeitshandschuh aus Leder. Schien zu passen. Endlich kam ich auf die für mich noch völlig neue Strecke. Kuppeln ging nicht sonderlich gut, ich kam mit den Fingern nicht weit genug nach vorne. Das Motorrad lief auch nicht. Bei 9000 Umdrehungen ein riesiges Loch, bis die Leistung schlagartig einsetzte. Also unfahrbar. Die Temperatur verweilte auch bei knapp 44° C. Ich bin dann nach ein paar Runden wieder rein.

Eine 1/2 Stunde später ging es schon wieder raus zum letzten Training. Auch wieder auf nasser Strecke. Diesmal hatte ich einen alten Held-Handschuh angezogen und Manuela hat mir den Verband ganz dünn gewickelt, so dass ich so grad eben in den Handschuh kam. Den Kühler hatte ich nun auch abgeklebt und ich konnte mich endlich mal ein wenig auf den Kurs konzentrieren. Schön umgebaut. Gefällt mir. Aber sonderlich aussagekräftig war die Fahrt im Regen nicht.

Zwischenzeitig auch noch der Anruf  von Boris, dass er aufgrund einer Erkältung noch nicht fit ist und erst Samstag Mittag zum Schrauben da sein kann.

Boris, halb genesen

Abends erfuhr ich dann, dass das halbe Starterfeld schon vor 2 Wochen in Hockenheim war und sich schon bestens auskannte. Toll. Die Zeiten sollten vergleichbar sein mit Oschersleben.

Am Samstag Morgen um 9.45 Uhr stand dann das erste Quali auf dem Programm, also meine ersten trockenen Meter auf der neuen Strecke. Ich mußte mich erstmal neu orientieren, Bremspunkte, Einlenkpunkte, Linie usw. suchen. Mit einer Zeit von 1.40.599 min war ich dann 40. Hinter mir noch ein Fahrer und 2 Fahrer außer Wertung, die mit Problemen in der ersten Runde ausgeschieden waren. Ich hatte auch schon Probleme beim Bremsen, die wir dann fahrwerkstechnisch fürs 2. Quali ausmerzten.

Im 2. Quali fuhr ich dann permanente 1.39er Zeiten, aber ich kam nicht drunter und schon wieder bemerkte ich das alte Gabelproblem: Beim Beschleunigen aus der Kurve geht mir der Asphalt aus, während andere innen sogar noch vorbeifahren konnten. Das Fahren mit dem Finger ging schon irgendwie, aber ich konnte nicht so fahren wie ich es gewohnt bin und war auch immer vorsichtig, um mir den nach vorne gestreckten Zeigefinger nicht anzustoßen oder aus Versehen zu beugen. Außerdem pocherte er munbter vor sich hin. Ich war dann 42. und Vorletzter. Hinter mir nur noch Serge Fischer, der sicherlich Problem hatte. Er hatte letztes Jahr in Hockenheim immerhin schon mal gepunktet.

Abends bin ich dann zu den  Wilbers-Technikern und habe gesagt, dass ich fürs warmup eine Seriengabel einbauen werde und wenn die besser funktioniert haue ich ihnen die Wilbersgabel um die Ohren. Immerhin hatte ich so deren Gehör und sie beruhigten mich. Ich solle doch noch mal mit der R6 vorbeikommen. Nach ein paar Überlegungen und ein paar Mal drücken der Frontpartei hatte der Techniker einen Lösungsvorschlag, der funktionieren sollte. Habe ich zwar nicht geglaubt, aber wir bauten die Gabel aus (Boris war ja nun auch angekommen) und bekamen sie eine halbe Stunde später zurück.

Im Warmup bin ich dann rausgefahren und war schon in der 2. Runde schneller als im Quali. Ab der 3. Runde eine volle Sekunde.

Zuversichtlich und hoffnungsvoll ging ich dann ins Rennen. Ich kam auch ganz gut vom Start weg und durch die erste Kurve. Ich hatte betimmt 5-7 Plätze gut gemacht. In der 2. Kurve war dann wieder etwas Chaos, ich verlor wieder Plätze. Nach der Gegengeraden bremste ich Gastfahrer und Ex-Cup-Kollege Frank Schulz aus und plazierte mich vor ihm. Dann versuchte ich Rhytmus zu finden. In der 2. Runde eingangs Motodrom schoß innen Schulz wieder durch und mußte schnell einsehen, dass mein Bremspunkt gar nicht so schlecht war. Er fuhr nach dem Einlenken dann doch lieber raus in den Kies. Leider verlor ich bei diesem Manöver den Anschluß nach vorne erstmal und mußte mich wieder ranarbeiten. Ich kam Ralf Altzschner immer näher, während er es nach vorne abreißen ließ. Irgenwann hatte ich dann wieder aufgeschlossen und wollte vorbei. Das war dann aber leichter gesagt, als getan. Wie das bei allen Suzukis im Feld so ist, hat auch Altzschners GSXR einen starken Motor und er fuhr mir auf den Geraden immer wieder davon. Auf der Bremse war ich besser, in den Kurven waren wir ebenbürtig. Also legte ich ihn mir zurecht und bremste ihn dann Ende Start-Ziel aus und legte in die Nordkurve ein. Mitten auf der nächsten Geraden fuhr er dank Motorleistung einfach wieder vorbei. Grrrr. Vor der neuen Queranbindung wollte ich ihn erneut ausbremsen, nun war er auch spät dran und lenkte in die Kurve ein ohne dass er mein Vorderrad überhaupt sehen konnte. Ich hatte nur 2 Möglichkeiten: Weiter abbremsen und dahinter bleiben oder innen von den rot-weißen Curbs auf dem grün gestrichenen Betonstreifen versuchen gleichzeitig einzubiegen. Ich entschied mich für Ersteres, da es sonst verdammt eng und wahrscheinlich nicht gut gegangen wäre. und das war es mir um die Plazierung rum nicht wert. Ich blieb also dahinter und fuhr  im großen Bogen auf die Gegengerade. Dabei verlor ich wieder einige Meter, die ich in den folgenden Runden wieder gut macht. Bis zum Ende des Rennens kam ich aber nicht mehr ernsthaft in die Verlegenheit Alztschner anzugreifen und so blieb ich hinter ihm. Überrundet wurden wir nicht und in der Boxengasse erfuhr ich dann, dass sowohl Frank Schulz, als auch Mario Josic hinter mir waren und in die Box gefahren sind. Damit haben sie mir einfach die rote Laterne nach vorne durchgereicht. :-(

Beim Rennen selbst hatte ich diesmal keinen festgegangenen Arm, da ich über den ganzen Tag verteilt Magnesium geschluckt habe. Allerdings spürte ich während des Rennens  trotzdem die Belastung im Arm deutlich, was mich auch von Letzte-Rille-Bremsmanövern abhielt. Außerdem habe ich trotz des Hinterherfahrens hinter Altzschner die Rundenzeiten nochmal absenken können.

Natürlich bin ich mit dem Rennergebnis nicht zufrieden, jedoch hatte ich auch nicht viel mehr erwartet, bzw. erwarten können, da ich ja schon die ganze Saison Probleme hatte und jetzt beim letzten Rennen auch nicht wirklich fit und erholt an den Start gegangen bin.

In den nächsten Tagen werde ich die Saison noch mal Revue passieren lassen und Bilanz ziehen. Danach werde ich entscheiden, wie es bei mir im Rennsport weitergeht. Dazu habe ich mehrere Optionen, die mir gefallen würden.

Da ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass ich bei entsprechender Vorbereitung und finanziellen Möglichkeiten deutlich weiter vorne mitfahren kann, steht für mich obenan, für die nächste Saison endlich mal ein gesichertes Budget zusammenzubekommen um dann meine obige Aussage unter Beweis stellen zu können.

Euer # 47 Martin

 

Was uns  sonst noch aufgefallen ist:

- Dass die Brötchenversorgung Samstag und Sonntag hervorragend war, da Fam. Hänel den Tankwart gut kennen und der wiederum mit dem nächsten Bäcker verwandt ist.

- Dass der neue Hockenheimring eine super Rennstrecke geworden ist und das krasse Gegenteil zum kleinen Kurs.

- Dass die Tribünnen sicherlich 3 x so voll waren, wie man es bisher von der IDM kannte.

- Dass es ein Herbstwochenende mit einem traumhaft schönen Wetter war.

-Dass man auch mit einem gezogenen Fingernagel noch relativ schnell Motorrad fahren kann.

 

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