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KÖNIGIN DER STRAßE
FAHRBERICHT DUCATI 996 R

Die Handgelenke schmerzen, mein Kopf dröhnt wie nach einem Vollrausch und mein Nacken zieht bis ins Kreuz - Ausritte mit der sündhaft teuren Ducati 996 R fordern ihren Tribut. Über 50 000 DM sind auch in der heutigen Spaßgesellschaft eine Geldanlage, die nachdenklich macht. Denn der Spaß hört da auf, wo der Ernst beginnt und das ist spätestens beim eigenen Geld. Doch kommt es darauf an, welchen Gegenwert ich dafür bekomme. Lesen Sie hier, warum Schmerzen und ein geplündertes Bankkonto auch ohne masochistische Veranlagung durchaus ein gutes Gefühl erzeugen können.

Genial: Der Beweis, dass sich

Alles hat seinen Preis. Das wissen Sportfahrer sehr genau. Ducati-Fahrer ganz besonders. Zumindest wenn es sich um das Topmodell, eines der gerade noch zulassungsfähigen Replikas, einer 996 R, handelt. Doch diesen Preis zahlen Sportfahrer und Fans angesichts der gebotenen Fahrdynamik mehr oder minder gern. Und das nicht ohne Grund. Sie wissen was sie für ihr Erspartes bekommen. Davon kann selbst der vierfache Alt-Weltmeister Carl Fogarty ein Liedchen singen. Insgesamt neun WM-Titel (inkl.2001) lassen das gewaltige Potenzial der 916/996-Baureihe schon im Stand erahnen.

Testa Stretta - alles neu!

Erstmals kommt der neue Testa Stretta-Desmo in der limitierten 996 R des Modelljahrgangs 2001 zum Einsatz

Beeindruckend wie der neue Testa Stretta-Desmo die fahrfertig gut 200 Kilogramm nach vorn katapultiert. War der legendäre, wassergekühlte Desmoquattro mit 996 Kubikzentimetern schon kein Kind von Traurigkeit, so spielt der neue 998er-Motor mit seinem engen Ventilwinkel von nur 25° eindrucksvoll seine konstruktiven Vorteile aus: Extrem spontan hängt der 90°-Twin am Gas, gierig und äußerst druckvoll dreht er insbesondere ab 5500 min-1 bis hinauf in den Begrenzer, der bei 10500min-1 den Zündstrom unterbricht. Eine 128 PS starke SPS anno 2000 spannt im direkten Vergleich vergleichsweise sanft die Muskeln. So agil wie die 996 R kam mir noch keine Ducati unter den Allerwertesten. Dafür spielt sich die ganze Kraft und Herrlichkeit auch um rund 1000 min-1 höher ab, kommt dann allerdings umso gewaltiger zur Sache. Schön ist, dass das bislang typische Nageln ab 4500 min-1 komplett entfällt. Keine Frage, der neue Testa Stretta-Motor gibt sich um einiges kultivierter.

Direkt und exzellent dosierbar lässt sich die Power per Gasgriff steuern. Chef-Konstrukteur Filipo Preziose darf sich bei einer derart gelungenen Premiere also bequem in die Ahnengalerie bekannter Ducati-Größen wie Fabio Taglioni (Königswelle, bis 1986), Massimo Bordi (Urvater des Desmoquattro) und Massimo Tamburini (Paso-Sporttourer, 916-Designer und Fahrwerks-Guru) einordnen.

Guten Morgen, Herr Nachbar ...

Nach der dezenten Zuhilfenahme der Drehzahlanhebung läuft der Vierventiler schon nach kurzer Zeit rund. Spontane Gasstöße verkürzen nochmals die Warmlaufphase und fördern zugleich einen innigeren Kontakt zur Nachbarschaft. Ah ja, die Duc läuft ... Nein, leise war eine Ducati noch nie. Erst Recht keine Desmoquattro. Aber ist Massimo Bordi deshalb gleich ein Umweltsünder? Mir kommen Bedenken, wenn ich an den Initiative "Laut ist out" denke. Es gibt da noch eine Kontra-Bewegung - "Leis' ist sch...". Sei's drum, ich liebe den Klang des dumpfen Donners.

Supersport 600-Fahrer Martin Rath we

Tief unten nehmen meine Hände den Lenker nach Klemmfaust-Manier in die Fittiche. Der Hintern schwebt knapp zwei Zentimeter über diesem Arrangement der aus edlem Leichtmetall gefertigten Gabelbrücke: Nr. 0074 steht drauf - Hand verlesen, beinahe jedenfalls. Die Füße ruhen in sportlicher, aber nicht unbequemer Haltung, auf zierlichen Fußrasten. Überhaupt spielt die Ergonomie eine überaus große Rolle, wenn es um das Erfolgskonzept der 916 / 996-Baureihe geht.

996 R-Fahren ist extrem

Der potente Motor tut anschließend sein Übriges, um den Fahrer vollends in seinen Bann zu ziehen - 136 PS zerren an der leichten Antriebskette und 105 Nm massieren den 180er-Hinterrad-Pneu. Wenn nur nicht die auf der linken Spur parkenden Pkw´s wären. Alles was nicht im D-Zug-Tempo geht, ist förmlich eine Qual. Für ein optimiertes Handling ist eine Anhebung des Hecks per Drehung der Schubstange eine Schlüsselstelle. Für weitere Einstellungen bietet sich die Justierung des variablen Steuerkopfwinkel zwischen 65,5° und 66,5°. Hier entscheidet jedoch das persönliche Gusto und natürlich die entsprechende (Renn-)Strecke. In adäquater Manier präsentiert sich der rund 1500 DM teuere und extrem leichtgängige Öhlins-Lenkungsdämpfer, der auf Grund der sensiblen Titan-Nitrit beschichteten Gleitrohre der Up side-Down-Gabel nicht viel zu tun hat. Allenfalls auf sehr schnellen Abschnitten mit fiesen Brückenabsätzen ist eine leichte Dämpfung wirklich nötig. Ein weiteres Indiz für das durch und durch gelungene Fahrwerks-Layout, durch das sich diese Modellbaureihe seit jeher auszeichnet - Massimo Tamburini sei Dank.

Das organisierte Chaos: Hinter den Sch


Doch zurück zum Motor, zum eigentlich Besonderen der 996 R. Hitverdächtige 54 Millimeter messen die Einlassquerschnitte im Bereich der Drosselklappe - das ist beinahe das Maß des Durchmessers eines handelsüblichen Bierglases! Während andere Hersteller zu immer komplizierteren Einspritzvarianten mit immer mehr Düsen übergehen, beschränkt sich Ducati auf eine Einspritzdüse je Zylinder. Im zentralen Ansaugstrom, einige Zentimeter vor den Drosselklappen, spritzt je eine Solo-Düse die genau kalibrierte Menge Super-Kraftstoff in den jeweiligen Einlass-Schlund (Shower-Form). Auf Grund der relativ großen Entfernung ergibt sich ein weiches Ansprechverhalten bei gleichzeitig hohen Strömungsgeschwindigkeiten der Gase.

Zwischen Neukonstruktion und Modellpflege

Auf der nächsten Evolutionsstufe befindet sich auch das neue Steuergerät des 998er-Twins. Wesentlich kompakter und leistungsfähiger, gleich neben der rechtsseitigen Batterie untergebracht, ist die Rechnereinheit deutlich näher am Maschinenschwerpunkt und zudem geschützter als unterm Mono-Höcker der SPS. Der Motorlauf ist nach wie vor bekannt hart. Das kompaktere, neuerdings aus Sandguss gefertigte Motorgehäuse, mit einem senkrecht stehenden Ölsieb, gewährleistet nun unter allen Umständen eine sichere Ölversorgung.

Da geht was durch: Brachtliche 54 Millimeter messen die Sch

Geblieben ist der günstige Kraftstoff-Verbrauch. Im Schnitt konsumiert der Einspritz-Twin nur 6,2 Liter Super je 100 Kilometern auf öffentlichen Straßen. Dafür kann das Sechsgang-Getriebe nicht ganz überzeugen. Durch eine etwas teigige Rastung zwischen den einzelnen Gangradpaaren hinterlässt die Schaltbox einen zwiespältigen Eindruck. Und auch der Leerlauf findet sich nur mit viel Geduld. Je höher jedoch die Drehzahl, je schneller die Gangart, umso homogener fallen auch die Schaltvorgänge aus. Am Testende quittierte schließlich der untere Kupplungsnehmerzylinder seinen Dienst, so dass der Verdacht aufkommt, dass hier von Anfang an die Ursache für die schlechte Schaltbarkeit lag.

Schon seit der 916 bekannt und doch immer wieder begeisternd: Das Konzept der Einarmschwinger

Perfekt in Ansprechverhalten und Dämpfung sind dagegen die komplett einstellbaren Federelemente der schwedischen Edelschmiede Öhlins. Dank ihres sensiblen Ansprechverhaltens kann die Grundabstimmung deutlich straffer gewählt werden, ohne gleich mit bösem Kick Back rechnen zu müssen. Die Bandbreite der Verstellmöglichkeiten ist vorn wie hinten vorbildlich. Kein Wunder, wenn man sich vor Augen hält, dass die Ups-Gabel allein mit rund 12000 DM und das Federbein mit etwa 7000 DM zu Buche schlägt.

Vom Feinsten sind auch die Vierkolben-Brembo-Stopper mit 34 Millimeter messenden Kolben, die gleich mit vier separaten Pads je Sattel aufwarten. Die Dosierung und Bremsleistung lassen zu keiner Zeit Wünsche offen. Beachtlich ist auch die Gewichtsersparnis von satten 800 Gramm je vorderer Bremsscheibe. Das fördert zudem das Handling im Hochgeschwindigkeitsbereich.

Ob Ssp-Fahrer Martin Rath mit dem gezeigten VnundenMotorodereinfachnurVictorymeint,isteigentlichwurscht-erhatsoodersoRecht

Objekt der Begierde

Im Zuge der Weiterentwicklung, rüstet der Hersteller seit 2000 die großen Ducati-Modelle mit einer elektronischen Wegfahrsprerre aus. Besonders im Falle öffentlich bewegter 996 R sicher keine schlechte Entscheidung. Davon allerdings dürften nur sehr vereinzelte Raritäten unterwegs sein. Seit ihrer Präsentation vom 12. September sind von den insgesamt 500 produzierten Einheiten lediglich 350 Stück an Privatbesitzer verkauft worden. Die restlichen 150 Maschinen waren von vornherein für den Rennsport-Einsatz vorgesehen. Wie begehrt dieses Modell ist, zeigte sich auch eindrucksvoll an der Zeit, in der alle verfügbaren 996 R ihre Besitzer fanden: Binnen 7 Stunden und 55 Minuten waren sämtliche Exemplare per Internet-Kauf vergriffen.

Um die MICHELIN PILOT-Reifen in Racing-Mischung auf Temperatur zu bringen bedarf es viel, viel Gas: Nix


Nicht unerwähnt dürfen natürlich auch die zahlreichen Carbon-Teile bleiben. Ein besonderer Hingucker ist der Schriftzug auf Tank und Verkleidung, der nicht etwa aufgeklebt, sondern bewusst nicht mitlackiert worden ist. Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage nach dem Sinn des aus schwerem Kunststoff bestehenden Mono-Höckers. Das wäre doch ein Verbesserungsvorschlag für die 998 R des Jahrgangs 2002.

FAZIT
Die 996 R ist nichts für Blender, oder Menschen, die gern am Kaffeetisch Small Talk halten und dabei die Beine übereinander schlagen. Sie ist der käuflich erwerbbare Traum eines Supersportlers und ein beinhartes Arbeitstier für den ganz, ganz schnellen Ritt. Sie ist die Königin der Straße. Nicht für den Alltag, eher schon für das emotionale Abenteuer am Sonntagmorgen - am besten in Richtung Rennstrecke. Wen stört da schon der eingeklemmte Daumen durch den knappen Lenkeinschlag nach links, oder der verspannte Nacken, oder die schmerzenden Handgelenke? Viel wichtiger sind da solche nette Details wie die Schnellverschlüsse an der Verkleidung oder die im Preis enthaltene Racing-Auspuffanlage, die für den dumpfen Klang des Donners sorgt.

Text & Foto: Ulrich Hoffmann
Okt. 2001

Boxengef


PLUS:
+ kraftvoller, spritziger Motor
+ fantastisches Fahrwerk
+ hochwertige Verarbeitung

MINUS:
- hohe Unterhaltskosten
- mäßige Schaltbarkeit des Getriebes

Nach rund 4000 renn


TECHNISCHE DATEN
Motor: Flüssigkeitsgekühlter V2-Motor, 4 Ventile/Zylinder, 998 ccm, Leistung 100 kW/136 PS bei 10 200 U/min, 105 Nm bei 8 000 U/min, Weber-Marelli-Einspritzung, Einlass ø54 mm, Motormanagement, 6 Gänge, Stahl-Gitterrohrrahmen, Sitzhöhe 820 mm, Tankinhalt 17 Liter, Reifen vorn 120/70-17, hinten 180/55-17, Gewicht fahrfertig 205 kg, Höchstgeschwindigkeit 280 km/h, Verbrauch 6,2 Liter Super/100 km

Preis 2001: 52.768 DM

Die motothek bedankt sich für das TEST-Motorrad bei der DUCATI DEUTSCHLAND GmbH, 50999 Köln, Industriestraße 180, Tel.: 02236-3912-0, Fax 02236-391290